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Eine Vohwinkelerin berichtet:
Unterricht in der Nachkriegszeit
Das erste mal zur Schule nach Kriegsende ging ich dann Anfang 1946 in die Volksschule Gebhardtstraße. Dort bekam ich auch am 1. April 1946 mein erstes Zeugnis.
Die Lehrerin, Fräulein Baude, war schon pensioniert und wurde aber zur Unterrichtung der unteren Klassen für täglich zwei Stunden wieder eingestellt. Die Lehrer waren noch nicht aus dem Krieg zurück und die jungen Lehrerinnen betreuten die oberen Klassen. Die Schulklassen waren überfüllt. In unserer Klasse waren mehr als 60 Kinder. Da ich nicht in dieser Schule eingeschult worden war, hatte ich auch keinen festen Platz. Meist saß ich auf dem Podium, die Tafel auf den Knien. Obwohl ich in der Zeit vom Herbst 1944 bis Anfang 1946 kaum zur Schule gegangen war, hatte ich keine großen Probleme zu folgen, denn es gab mehrere Kinder, die noch älter als ich waren aber noch weniger wussten. Sehr interessiert war ich also nicht.
Hatte auch keine große Lust, mich am Unterricht zu beteiligen. Bei unserer Lehrerin, Fräulein Baude, war dass Wichtigste, dass man sich in der Bibel auskannte. Eine Bibel hatte ich noch nie in der Hand gehabt, aber einige Male, als ich noch bei meiner Tante wohnte, im Kindergottesdienst daraus vorgelesen bekommen. Die Lehrerin war entsetzt, als sie das hörte. Wenn ich also mal wieder nicht richtig zugehört hatte, bekam ich eine Strafarbeit auf. Die sah so aus, dass sie mir das Neue Testament gab, und ich auf dem Flur im Stehen an der Fensterbank etwas abschreiben musste. Ja, da die Griffel sehr knapp waren, hatte ich meist nichts zum Schreiben. Hin und wieder gab sie mir dann den Rest eines Griffels, der mit einer Papierhülse verlängert wurde. Also war ich gar nicht böse, wenn ich eine Strafarbeit auf bekam, denn dann sprang fast immer ein Stückchen Griffel heraus.
Im Laufe des folgenden Jahres änderte sich dann die Situation. Einige ältere Lehrer kamen aus dem Krieg zurück. Wir hatten nun im wöchentlichen Wechsel einmal morgens und dann nachmittags mehrstündigen Schulunterricht.
Nach der Schule machte ich einen Umweg. Ich ging unerlaubt über die Treppe an der Kantine von Ackermann vorbei - wenn wir da zurückgeschickt wurden, mussten wir noch weiter die Vohwinkeler Straße herunter, dort gab es noch eine Einfahrt - aufs Bahngelände. Das war ein großer Güter-Verschiebebahnhof. Hier wurden Güterwagen rangiert, abgestellt und teilweise entladen. Die Waggons, die entleert wurden, interessierten mich. Kartoffeln, die ausgeladen wurden, waren nicht in Säcke verpackt und wurden sofort auf Pferdefuhrwerke geschaufelt. Beim Ausladen fielen sehr oft welche herunter. Also schlich ich mich von der Rückseite unter den Waggon und sammelte die Kartoffeln ein. Hierzu hatte ich immer einen kleinen Sack, ich denke da passten so fünf Pfund hinein, in meinem Tornister. Wenn es sehr einfach war, dann hatte ich auch noch Kartoffeln oder Äpfel in den Tornister gesteckt.
In der Schule hatte ich nicht den Ruf, ein ordentliches Mädchen zu sein. Mein Lesebuch, das schon mehrere Schüler vor mir hatten, sah an sich schon wild aus. Mit meinen Organisiertouren gab ich den Büchern dann den Rest. Wenn nichts ausgeladen wurde, nahm ich das mit, was zwischen den Gleisen lag. Ein Stück Draht, der dann, wenn eine bestimmte Menge vorhanden war, abgeflämmt wurde. Das Kupfer wurde dann verkauft. Oder ein paar Kohlen, die von einer Lok gefallen waren. Es gab auch schon mal Lokführer, die - wenn sie Kinder sahen - einen großen Klumpen Kohle herunter warfen. So brachte ich fast jeden Mittag etwas mit.
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