Der Vohwinkel Fuchs
Schloß Lüntenbeck Schwebebahn in Vohwinkel 1923 Rathaus Vohwinkel 1912 Kaiserplatz in Vohwinkel 1929 Neuer Bahnhof Vohwinkel 1909 Schöller 1928

Vohwinkels Industrie

Vohwinkel, selbst von jugendlichem Alter, hat naturgemäß keine alteingesessene, typische Industrie, wie manche der bergischen Schwesterstädte. Aber wie durch das aufblühende junge Gemeinwesen ein frischer Zug kraftvollen Vorwärtsstrebens geht, so zeugt auch seine Industrie von ansehnlicher, ja geradezu hervorragender Leistungsfähigkeit.

Zunächst sei der   T e x t i l i n d u s t r i e   Erwähnung getan. Mehr als anderthalb Tausend Arbeitnehmer sind in Vohwinkels Textilbetrieben tätig. Firmen von gutem Klang und führender Bedeutung haben hier ihren Sitz. Hauptstoff der Verarbeitung ist Seide, der edelste der Faserstoffe. Der Entwicklung der Zeit entsprechend hat daneben Kunstseide in nennenswertem Maße Eingang gefunden.

In Vohwinkel befindet sich die Zentrale eines der größten Seidenstoffkonzerne Europas mit 11 Fabriken, von denen eine gleichfalls in Vohwinkel liegt. Hier werden ausschließlich sogenannte "Uni-Stoffe" gewebt: entzückender Chinakrepp, duftiger Krepp Georgette, leuchtender Japon, und wie die edlen Stoffe alle heißen, dazu, als besondere Spezialität, tiefschwarzer Krepp für Trauerschleier. Der Betrieb hat seine eigene Zwirnerei, was bei den meisten Seidenwebereien nicht der Fall ist. Er baut Webstühle für seine eigenen Zwecke, sodaß der "Rationalisierung" des Webens auf das Beste Rechnung getragen werden kann. Es ist ungemein reizvoll, in den Lagerräumen der Firma all die zarten, bunten, farbenprächtigen Stoffe zu sehen, die so recht geeignet erscheinen, Frauenschönheit zu heben und zu adeln. Die wirtschaftliche Bedeutung des Unternehmens erhellt daraus, daß der Jahresumsatz viele Millionen Mark ausmacht.

 

Wenn die Arbeit des Webens beendet ist, so pflegt der Stoff keineswegs fertig zu sein. Es folgt nunmehr das   F ä r b e n   (und zwar das Färben "im Stück", im Gegensatz zu dem Färben "im Strang", wobei schon die Fäden gefärbt worden sind). Eine der größten und leistungsfähigsten Stückfärbereien Deutschlands liegt in Vohwinkel, und zwar unmittelbar am Fluß, an der Wupper, wie das für solch einen Betrieb mit seinem riesigen Wasserverbrauch und seinen großen Abwassermengen selbstverständlich ist. Der Unkundige ahnt nicht, wie mannigfaltig und schwierig die Arbeit des Färbens ist. Viele Hunderte von Farben und Farbtönen in allen Nuancen und Schattierungen, je nach dem Wunsch des Kunden und dem Diktat der mächtigen, launischen Modegöttin müssen den zarten Seidenstoffen verliehen werden. Bei dieser Farbenpracht und -fülle verblaßt des guten alten Regenbogens Buntheit. Zweimal im Jahr wechselt dazu das Spiel der Farben, entsprechend der Sommer- und Wintersaison. Da gibt es basische Farbstoffe, saure Farbstoffe, Beizenfarbstoffe, Entwicklungsfarben usw. Ungemein kompliziert sind die chemischen Vorgänge beim Färben, und nur die gründlichste Kenntnis, die größte Erfahrung, die peinlichste Sorgfalt ermöglichen es dem Färber, alle die gewünschten Töne in fleckenloser Reinheit und Gleichmäßigkeit auf den Geweben hervorzubringen.

Dem Färben reiht sich das   " A p p r e t i e r e n "   an. Das Appretieren oder Herrichten soll dem Gewebe ein gefälliges Ansehen, Glanz, Steifheit oder Geschmeidigkeit usw. geben. Auf demselben Grundstück, technisch und wirtschaftlich in engster Verbindung mit der Stückfärberei, schließt sich wupperabwärts eine bedeutende Appreturanstalt an. Das Grundstück der beiden Fabriken mißt in der Längsrichtung etwa 3/4 km, ein Beweis für die Größe der Betriebe. Sehr verschiedenartig sind die Vorgänge des Appretierens. Da wird mit bestimmten Lösungen getränkt, zwischen dampfgebeizten Walzen (Kalandern) geglättet, gesengt, gespannt, gepreßt usw. Für die meisten Vorgänge gibt es leistungsfähige, zum Teil sehr umfangreiche Maschinen. Kurzum, auch das Appretieren ist ein gut Teil technischer Wissenschaft.

Der schimmernden Seide junge "Base", nicht so edel wie die echte Seide, aber reizvoll, anpassungs- und entwicklungsfähig, ist die Kunstseide. Volkswirtschaftlich ist sie zu größter Bedeutung berufen. Inbezug auf Festigkeit, Glanz und Färbung hat die Kunstseidenherstellung im Lauf des letzten Jahrzehnts ganz außerordentliche Fortschritte gemacht, sodaß die Kunstseide heute nicht mehr allzuweit hinter der echten Seide zurücksteht. Allein oder gemeinsam mit echter Seide, mit Wolle oder Baumwolle verwebt, hat sich die Kunstseide alle Gebiete der Bekleidung, vornehmlich der weiblichen, erobert. Ungemein reizvoll ist sie auch für Dekorationszwecke und Posamentenherstellung. Sie entzückt in Form schimmernder Damenstrümpfe, zartduftiger Unterwäsche und anmutiger Kleiderstoffe. Anstelle von Stroh oder Roßhaar dient sie zur Anfertigung zierlicher Damenhüte. Futterstoffen verleiht sie Glanz und Haltbarkeit. Infolge des wohlfeilen Preises erfreuen sich alle Schichten der Bevölkerung der kunstseidenen Erzeugnisse. So überbrückt die Kunstseide auf friedlichstem Wege die Kluft zwischen Arm und Reich, und im Fortschreiten der Zivilisation ist sie ein machtvoller Faktor.

Der Rohstoff für Kunstseide ist Zellstoff (Baumwolle minderer Güte oder Holz), der in Lösung gebracht und alsdann zu strukturlosen, glänzenden Fäden geformt wird. Hierfür bestehen verschiedene Verfahren, deren jedes besondere Eigenschaften und Vorzüge hat. In Vohwinkel wird Kunstseide nach dem sogenannten V i s k o s e v e r f a h r e n   erzeugt. Gebleichter Zellstoff in Form von Platten aus Holzschliff wird mit Natronlauge getränkt und alsdann in eisernen Drehtrommeln mit Schwefelkohlenstoff gemischt. Diese Fasermischung löst sich klar in Wasser, dem Aetznatron zugesetzt ist. Die Lösung läßt man aus kleinen, brauseartigen Köpfen aus Gold mit zahlreichen haarfeinen Oeffnungen in ein Fällbad (stark verdünnte Schwefelsäure) treten, wo sie zu dünnen Fäden erstarrt. Die Einzelfäden werden zu einem zusammengesetzten Faden vereinigt und aufgespult.

Gehört die Vohwinkler Kunstseidenfabrik auch nicht zu den größten Betrieben dieser Art, so sind ihre technischen Einrichtungen musterhaft und teilweise einzigartig. Demgemäß genießen ihre Leistungsfähigkeit wie auch die Güte und Vielseitigkeit ihrer Erzeugnisse gebührende Anerkennung.

Aber nicht nur für den Schmuck und die Wärme des menschlichen Körpers sorgt Vohwinkels Industrie, sondern auch für die Wärme und Behaglichkeit der menschlichen Behausung. In überraschend kurzer Zeit erwuchs aus einer Werkstatt für kunstgewerbliche Erzeugnisse eine der angesehensten und leistungsfähigsten   H e r d f a b r i k e n   Deutschlands. Noch heute ist ein Teil ihrer Erzeugnisse kunstgewerblicher Art: ihre prächtigen Kaminöfen, reich mit Marmor und getriebenem Metall verziert, vereinen Zweckmäßigkeit und Schönheit. Aber der Schwerpunkt liegt auf dem Gebiete der Kohlen- und Gasherdfabrikation. Herde aller Ausführungen und Größen, ausgestattet mit den neuesten Errungenschaften moderner Heizungs- und Gastechnik, erfreuen nicht nur deutsche Hausfrauen, sondern gehen in alle Welt. In einem Menschenalter ist das Werk aus kleinen Anfängen unter der zielbewußten Leitung seines Gründers und Besitzers zu einem Betrieb geworden, der heute etwa eintausend Arbeiter und Angestellte beschäftigt und damit der größte Betrieb Vohwinkels und der zweitgrößte des ganzen Kreises ist.

Neben diesen ansehnlichen, jedermann vertrauten Erzeugnissen der Eisen- und Metallindustrie fehlt es in Vohwinkel nicht an weniger bekannten, dafür aber nicht minder wichtigen Zweigen der Eisen verarbeitenden Gewerbe. Da seien zunächst jene kleinen, unscheinbaren Gegenstände genannt, die zwar keine selbstständigen Gebrauchsgegenstände, aber in großer Zahl in jeder Wohnung zu finden sind, nämlich an jedem Möbelstück, das Türen, Klappen oder Deckel hat: die   S c h a r n i e r e .   Auch eine der leistungsfähigsten deutschen Scharnierfabriken bergen Vohwinkels Mauern. Aus Eisen und Messing werden hier in sinnreicher Massenherstellung täglich viele Tausende dieser unscheinbaren und doch so unentbehrlichen Gegenstände erzeugt.

Dieser Massenherstellung kleiner Teile steht die Anfertigung mehr oder weniger umfangreicher Erzeugnisse in anderen Fabriken gegenüber: eiserne  
T r a n s p o r t g e r ä t e   aller Art, mächtige   M ö b e l w a g e n   ,   M a s c h i n e n
und Maschinenteile für Eisenbearbeitung und Textilindustrie, für das Konditorgewerbe und die Landwirtschaft, Gelenkketten, Schmiedeteile und Schrauben, kurzum höchst mannigfach sind Arten und Formen der Erzeugnisse unserer heimischen, Eisen verarbeitenden Industrie. Auch fehlt es nicht an einigen Gießereien für Eisen und Gelbguß.

Anknüpfend an die Bemerkung, daß Vohwinkels Industrie für die Wärme und Behaglichkeit der menschlichen Behausung sorge, sei lobend der schwellenden   P o l s t e r m ö b e l
und praktischen   P a t e n t m a t r a t z e n   Erwähnung getan, die einige modern geführte Betriebe dieser Art in ansehnlicher Menge erzeugen.

Bilden Faserstoffe und Eisen die wichtigsten Grundstoffe für Vohwinkels Industrie, so leistet sie auch noch auf anderen Gebieten höchst Bemerkenswertes. Neben einigen kleineren Betrieben dieser Art ist vor allem eine altbekannte   L a c k f a b r i k   zu nennen, die zu den ältesten und leistungsfähigsten Betrieben Deutschlands gehört. Der Laie macht sich keinen Begriff von der Mannigfaltigkeit des Stoffes "Lack", ebensowenig davon, welche Fülle von langjährigen Erfahrungen und wissenschaftlicher Theorie diese Fabrikation erfordert. Es gibt zwei Hauptgruppen von Lacken: fette Lacke (Oellacke) und flüchtige Lacke (Spirituslacke), außerdem gewisse Speziallacke, wie Celluloid- und Zaponlack, sowie Asphaltlack. Als "häutchenbildende Grundstoffe" kommen die natürlichen und künstlich hergestellten Harze in Frage. Als Grundstoff der Zaponlacke dienen Schießbaumwolle und Zelluloid, während die Asphaltlacke (Rostschutzmittel) Asphalt, Pech, Bitumen oder Teer enthalten. Als Lösungsmittel werden Terpentenöl, Mineralöldestillate (Benzin, Benzol usw.), Alkohole, Essiggeist, Amplazetat usw. verwendet. Schon aus der Fülle dieser nur zum kleinen Teil aufgezählten Rohstoffe erhellt die Mannigfaltigkeit der Lackfabrikation, die teilweise auf heißem (fette Lacke), teilweise auf kaltem Wege (flüchtige Lacke) vor sich geht. Erwähnt sei an dieser Stelle als Beispiel der "Rationalisierung" im Lackierergewerbe das "Spritzverfahren", wobei ein flüchtiger Lack in kürzester Zeit mittels einer Spritzpistole sowohl auf kleinste Gegenstände, wie auf fertige Automobile aufgetragen werden kann.

Wer gute Ware erzeugt, muß auch sorgen, daß sie bekannt wird, was praktisch heißt:
R e k l a m e   m a c h e n . Ein ziemlich ansehnlicher Betrieb in Vohwinkel befaßt sich ausschließlich mit der Anfertigung von Reklameplakaten und ähnlichen Reklamegegenständen, vornehmlich solchen aus haltbarem Stoff (Zelluloid). Man kann dort interessante Plakate für die verschiedensten Erzeugnisse entstehen sehen, nicht selten mehrfarbige oder goldbelegte Werbedrucke von ebenso packender, wie reizvoller Ausführung.

Auch der   P a p i e r b e d a r f   des Haushalts kommt nicht zu kurz in Vohwinkel. Jedermann in der Umgebung weiß, daß vortreffliches Spezialpapier für Einmachzwecke in Vohwinkel hergestellt wird, nicht zu vergessen des Papiers für andere Haushaltszwecke.

Noch manches ließe sich sagen über allerlei Nützliches, das in Vohwinkler Mittel- und Kleinbetrieben hergestellt wird, aber leider fehlt hierzu der Raum. Binnen kurzer Zeit wird ein neuer Industriezweig durch einen bemerkenswerten Betrieb vertreten sein: die
K a b e l h e r s t e l l u n g .

Handelt es sich bei den geschilderten Gewerben durchweg um "verarbeitende Industrie" mit zum Teil hochwertigster Qualitätsware, so ist auch die   R o h s t o f f g e w i n n u n g   durch mehrere   K a l k s t e i n b r ü c h e   und einen mächtigen   D o l o m i t b r u c h   vertreten. Der Dolomit, der zur Stahlerzeugung dient, wird an Ort und Stelle in riesigen Schachtöfen gesintert. Ihr gewaltiger Schornstein mit seiner charakteristischen, weißen Rauchfahne ist im Nordosten der Stadt weithin zu erblicken.

Mannigfaltig und nützlich sind die Erzeugnisse des Vohwinkler Gewerbes. Aber auch der
S c h ö n h e i t   allein dient ein ansehnlicher Zweig seines Gewerbefleißes: Gezüchtet werden im Freiland und in Glashäusern von seltenen Ausmaßen   d i e   l i e b l i c h e n
K i n d e r   F l o r a s  . Ueber Hunderte von Metern schweift der erstaunte Blick über das saftiggrüne Filigran verschiedener Asparagusarten, deren Schnittgrün zahllose Blumenhandlungen nah und fern versorgt. Ungeheure Rosenbeete, je nach der Witterung frei liegend oder mit Glasdächern versehen, lassen den Beschauer vergessen, daß er mitten im bergischen Land, dem Land intensiver industrieller Tätigkeit ist. Stämmige Fliederbäume mit blütenschweren Trauben im Frühjahr, leuchtender Dahlien bunte Pracht im Herbst künden, daß auch für die Schönheit und den Luxus in lieblicher Form auf Vohwinkels Gefilden unermüdlich gearbeitet wird.

Haben wir rühmend des Gewerbefleißes und seiner trefflichen Leistungen gedacht, so wollen wir nicht vergessen, der   T a u s e n d e   v o n   f l e i ß i g e n   H ä n d e n ,
die tagein, tagaus sich regen und solche Leistungen mithervorbringen:

"Wer den wucht'gen Hammer schwingt,
Wer im Felde mäht die Aehren,
Wer in's Mark der Erde dringt,
Weib und Kinder zu ernähren,
Wer stroman den Nachen zieht,
Wer bei Woll' und Werg und Flachse
Hinter'm Webestuhl sich müht,
Daß sein blonder Junge wachse:
Jedem Ehre, jedem Preis,
Ehre jeder Hand voll Schwielen,
Ehre jedem Tropfen Schweiß,
Der in Hütten fällt und Mühlen !"

Text von Gewerberat Derdack aus:
Bergische Heimat
Monatsschrift für Volkstum, Natur und Kunst, Wandern und Verkehr
Jahrgang 1, Nummer 11
Ronsdorf, November 1927

 

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